Zur Einstimmung
Die Elektronenstrahl Mikroanalyse ('ESMA' oder Electron Probe Microanalysis 'EPMA') mit einem energiedispersiven Röntgenspektrometer EDX (Energy Dispersive X-ray Spectrometer) ist zu einer sehr verbreiteten Analysenmethodik geworden. Als leistungsfähige Mikroanalysentechnik mit minimal nachweisbaren Substanzmengen von weniger als
0.1 Pikogramm wird sie auf Grund ihres relativ geringen gerätetechnischen Aufwandes in allen Gebieten der Naturwissenschaften, Medizin und Technik eingesetzt, überall dort, wo auch (Raster-) Elektronenmikroskopie ('REM' oder Scanning Electron Microscopy 'SEM') betrieben
wird.
Der "Mikroanalytiker" hat ein sehr interessantes Arbeitsfeld. Er oder sie dringt ein in die Welt mikroskopischer
Dimensionen. Mit dem Vergrößerungsregler am Elektronenmikroskop wird die Mikrowelt erschlossen, man sieht plastische Strukturen, die möglicherweise kein menschliches Auge vorher wahrgenommen hat. Objekte mit einer Ausdehnung von 0.1 mm und weniger zeigen auf ihrer Oberfläche interessante Merkmale, vergrößert man weiter dann
erkennt man bizarre Gebilde mit Abmessungen von wenigen Mikrometern, die bei einer 10-fach kleineren Vergrößerung noch
langweilige Flecken, Kugeln oder Kleckse waren. Welch ein Gefühl, wenn der Hobby-Kriminalist erwacht,
wenn man wissen will, aus was das besteht, was man da gerade sieht.
Bauwerksmaterial im Elektronenmikroskop
Vergleichen sie selbst mit anderen Analysenmethoden der instrumentellen Analytik, wo hunderte Proben in einen
Probenhalter gegeben werden, nüchterne Zahlenkollonnen dokumentieren das Ergebnis eines anonymen physikalischen
Vorganges, dem menschlichen Auge nicht erschließbar.
Es ist richtig, mit dem Elektronenstrahl können Objekte mit einer Größe von typisch nur einem Mikrometer selektiv zur
Emission von Röntgenstrahlung angeregt werden:
Schnitt durch eine Mehrschichtkeramik (im Elektronenmikroskop)
Die kleinsten sichtbaren Aluminium- und Magnesium- Strukturen sind 1,5 Mikrometer groß,
Ag Strukturen von ca. 2,5 Mikrometern sind sichtbar
Das Spektrum der Energieverteilung der Röntgenquanten zeigt dem
erfahrenen Analytiker auf einem Blick, dem noch unerfahreneren durch die "Sehhilfe" Software, welche Elemente
vorhanden sind. Und dabei wird nahezu das gesamte Periodensystem der Elemente erfaßt (mit Ausnahme der
Elemente der Ordnungszahl 1 bis 4 bei ultradünnem bzw. 1 - 9 bei einem Be- Detektorfenster!
Spektrum eines Schmuckringes (gelb: berechneter Bremsstrahlungsuntergrund)
Vor Jahren noch als "quantitativ nicht möglich" charakterisiert, können heute alle Informationen zur Berechnung der
qualitativen und quantitativen Elementzusammensetzung nur aus dem Messspektrum selbst gewonnen werden. Ein
Vergleich zu gemessenen Standards ist nicht notwendig. Die Auswertung der charakteristischen Strahlung der
Elemente unter Einbeziehung der gemessenen Bremsstrahlung eröffnet die Möglichkeit der standardfreien absoluten Bestimmung der
Elementkonzentrationen (PUzaf, Info2). Die Bestimmung der Absorptionsverhältnisse in der gemessenen Probe durch Auswertung
der energetischen Verteilung des Bremsstrahlungsspektrums gestattet die Analyse von unregelmäßigen Oberflächen und von Partikeln (Info4). Selbst starke Linienüberlagerungen werden von der Software fast spielerisch "aufgelöst" (Info5). Das
Spektrum wird zum Fingerabdruck des analysierten Probenvolumens, das Analysenergebnis unabhängig vom
Detektor, vom Elektronenmikroskop, vom Zeitpunkt der Analyse und vom Analytiker. Das Ergebnis ist jederzeit
durch erneute Auswertung des archivierten Spektrums überprüfbar.
Per Tastendruck erfolgt nach einer aufwendigen Rechenprozedur die Ausgabe der Konzentrationen:
Goldanalyse
Eine gute Software gibt für jedes Element nicht nur die Konzentration sondern auch einen Analysenfehler aus und gestattet dem erfahrenen Analytiker interaktive Eingriffsmöglichkeiten mit dem Ziel, seine Erfahrungen einzubringen, denn irren ist nicht nur menschlich! Es werden Analysenergebnisse mit einer Genauigkeit von 3..5% relativ erreicht. Werden kleinere Fehler angegeben, so handelt es sich nur um den reinen statistischen Anteil.
Nur ein Stück weiter vom soeben analysierten Objekt warten neue Abenteuer:
Detailbild, Verunreinigung (links Elektronenbild, rechts überlagert mit Elementbild)
Aber Vorsicht!
Hinter der mittlerweile spielerischen Leichtigkeit bei der Bedienung moderner Software-Knöpfe und Maus-Klicks
verbergen sich komplizierte physikalisch- mathematische Modellrechnungen. Die Software nimmt ihnen mit spielerisch
anmutender Leichtigkeit die Detailkenntnis aller benötigten Daten und Formeln ab und "spuckt" nach einem sehr
aufwendigen Prozess Ergebnisse aus. Die Ergebnisse wurden gewonnen durch eine Vielzahl von Berechnungen, die
alle ihre Fehlermöglichkeiten haben. Die Software nimmt ihnen eine Unzahl von Entscheidungen ab, von deren
Kenntnis sie nicht einmal eine Ahnung haben. Dank schnellster Mikroprozessortechnik dauert das, was noch vor
wenigen Jahren ehrfurchteinflößend mehrere Minuten benötigte, nur Bruchteile von Sekunden. Die extrem komplexen
und nichtlinearen Wechselwirkungsprozesse in der ESMA sind deshalb aber nicht einfacher geworden.
Elektronenbahnen im Partikel
Kann die extrem unregelmäßige Oberfläche des oben abgebildeten Objektes "Bauwerksmaterial" auf Grund der unbekannten
Absorptionsverhältnisse bei der Emission der Röntgenstrahlung überhaupt quantitativ analysiert werden? Bei einer
Analyse mit Bezug auf Standards sind ebene und polierte Oberflächen eine Voraussetzung sowohl für die Standards,
als auch für die Probe. Der Analytiker benötigt Standards adäquater Beschaffenheit. Poröse Proben, Partikel und
Einschlüsse erzeugen ähnliche Analysenprobleme. Vielleicht ist es möglich, Informationen über die realen
Absorptionsverhältnisse in der Probe aus dem gemessenen Spektrum selbst zu gewinnen?
Aber genau diese Art der Proben, im Beispiel vielleicht extrem verdeutlicht, ist heute eher typische Praxis im
Rasterelektronenmikroskop, das wegen seiner guten Tifenschärfe zur Charakterisierung und Untersuchung gerade von
strukturierten Oberflächen eingesetzt wird.
Kann die sehr "weiche" Röntgenstrahlung der leichten Elemente auf Grund der extremen Absorptionseffekte überhaupt quantifiziert werden?
Fragen über Fragen auf die noch nicht immer aber mit wachsendem Erfolg positive Antworten gegeben werden können (Info4).
Natürlich gibt es Limitierungen. Jede Messtechnik hat ihre Tücken deren Kenntnis wirklich nicht schaden kann (Info3).
Geometrische Verhältnisse bei Proben mit unregelmäßigen Oberflächen im Elektronenmikroskop
Bei undefinierten Probenoberflächen kann nur eine standardfreie Spektrenauswertung zum Ziel führen. Die Notwendigkeit der standardfreien Analyse in
der täglichen Praxis der Elektronenmikroskopie wäre damit begründet.
Wenn die unbekannte Absorption nicht ermittelt und berücksichtigt werden kann, sind Fehler von 100% und mehr
auch bei standardfreier Auswertung keine Seltenheit. Wer will es ihnen auch verübeln, das 100. Analysenergebnis
kritiklos zu übernehmen, waren doch die 99 vorangegangenen Analysen auf Grund ihrer guten quantitativen
Software ja auch zufriedenstellend. Man kann sich schlecht vorstellen, dass durchaus 99 Analysen mit einem
überprüften Fehler von typisch 3 bis 5% durchführbar waren, das 100. Analysenergebnis aber auch mal ein oder
mehrere Elemente mit extremen Abweichung vom erwarteten bzw. "wahren" Wert aufweisen kann!
In der ESMA im Elektronenmikroskop gelten deshalb mehr denn je die folgenden Worte, die C. Remigius Fresenius als Geleitwort zu seiner
"Anleitung zur Qualitativen Chemischen Analyse" (Braunschweig 1874) schrieb:
"Es muss daher ein Halbwissen, wie überall
so ganz besonders hier,
für schlimmer als ein Nichtwissen erachtet
und vor oberflächlicher Beschäftigung mit der
chemischen Analyse
ganz vorzüglich gewarnt werden."